Rückblick Auftaktveranstaltung

„Alles eine Frage der Perspektive? - Bestandsentwicklung eine Chance geben und Herausforderungen meistern“


Wann: 22.02.2023
Wo: als Online Videokonferenz (Zoom)

Die Auftaktveranstaltung der Themenreihe Bestandsentwicklung fand digital am 22. Februar unter dem Titel „Alles eine Frage der Perspektive? - Bestandsentwicklung eine Chance geben und Herausforderungen meistern“ statt. Die Moderation übernahm Christiane Marks als Geschäftsführerin des Netzwerks Innenstadt NRW. Nach Begrüßung der rund 35 Teilnehmer*innen gab es von Lisa Vogt, Projektmitarbeiterin des Netzwerk Innenstadt NRW, einen kurzen Input zum Thema sowie einen Überblick zur Reihe „Bestandsentwicklung“.

Ziel der Veranstaltung war es, zunächst in das Thema Bestandsentwicklung einzuführen, anschließend verschiedenen Perspektiven Raum zu geben und durch den gemeinsamen Austausch herauszustellen, an welchen Stellen und Bereichen die Knackpunkte für eine erfolgreiche Entwicklung von Bestand vorliegen und welche Lösungswege hierfür in Betracht kommen könnten.

Zu Beginn der Veranstaltung gab Daniel Fuhrhop, Wohnwende-Ökonom, Publizist und Mitglied bei Scientists for Future, einen kurzen thematischen Abriss über das allgemeine Thema Bestandsentwicklung mit dem Titel: „Verbietet den Abriss: Alte Häuser bewahren und beleben“. In seinem Vortrag weist Daniel Fuhrhop nachdrücklich darauf hin, dass Neubauten schlecht für die Umwelt sind und - vor allem, wenn ökologische, nachhaltige und klimafreundliche Ziele erreicht werden sollen – der Umgang mit dem Bestand im Mittelpunkt stehen sollte. Allein die Planungen und Erschließungen von neuen Gebieten können zu hohen Kosten für die Kommunen führen, denn es geht nicht nur um die Neubauten, sondern auch um die damit in Verbindung stehende benötigte technische und verkehrliche Infrastruktur. Er stellt dabei auch die Ziele der Bundesregierung in Frage: Einerseits möchte diese die CO2 Emissionen reduzieren, andererseits gleichzeitig 400.000 neue Wohnungen pro Jahr bauen. Beide Ziele, so Fuhrhop, widersprechen sich, denn neu bauen bringt einen hohen Grad an CO2-Emissionen mit sich, wohingegen die gewünschten CO2-Reduktionen ausbleiben. Deswegen plädiert er für mehr Umbau statt Neubau. Durch einige Beispiele zeigt er schließlich Potentiale von Umbauten auf. Weiter weist er auf den nicht zu unterschätzenden „unsichtbaren Wohnraum“ hin, beispielsweise leerstehende Räumlichkeiten in privaten Händen, welche die aktuelle Wohnungsnot abmildern könnten, jedoch nicht in die Statistik eingehen.

In der darauffolgenden Diskussion wurde das Thema Bestandsentwicklung aus unterschiedlichen Perspektiven aus Architektur, Kommunalverwaltung, Immobilienwirtschaft und Ökonomie, betrachtet. Obwohl alle Referent*innen sich einig waren, dass die Weiterentwicklung des Bestandes priorisiert werden sollte und diese große Potentiale für Kommunen mit sich bringen kann, wurde schnell deutlich, dass es sich im Detail um eine sehr komplexe Aufgabe handelt. Es ist klar geworden, dass ein Perspektivwechsel hinsichtlich der Themen Bestandsentwicklung an vielen Stellen nötig ist und dass ein intensiver Aushandlungsprozess zwischen den unterschiedlichen Ansprüchen geführt werden muss. Dabei sollte genau geklärt sein, für wen oder für welchen Zweck gebaut wird und welche Auswirkungen das auf der sozialen, ökologischen und ökonomischen Ebene am Ende haben wird.

Aus der Perspektive des Bereichs Architektur kommentierte und diskutierte Christian Schmitz, Präsidiumsmitglied des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten. Christian Schmitz steht für ein Umdenken in der Architektur und argumentiert, dass Architekt*innen aus seiner Sicht ein neues Zukunftsbild brauchen, in dem es mehr um den Umgang mit dem Bestand geht und weniger um neue Architekturen. Dabei stehen jedoch viele Herausforderungen an: Das Bauen ist komplizierter geworden, die DIN-Normen sehr hoch, die Standards zu Brand- und Schallschutz sind zu „Totschlagargumenten“ geworden und es drängt sich das Gefühl auf, dass Kreativität im Bau nicht mehr möglich sei. Dennoch plädiert er für ein „geht nicht, gibt’s nicht“. Schmitz empfiehlt die Etablierung einer Phase 0 und macht deutlich, dass Kommunen sich neue Partner*innen suchen müssen, um die Probleme in Gemeinschaft lösen zu können. Denn das Potenzial ist vorhanden und Ideen, wie beispielsweise die Gebäudeklasse E (E für Experimentieren) in Bayern, gibt es auch. Neue Konzeptionen des Zusammenlebens und Wohnens finden sich immer häufiger und wenn man die bundesweiten Herausforderungen im Bereich Bauen betrachtet, wird klar, dass es kein Herumkommen um eine deutlich verstärkte Beschäftigung mit dem Bestand mehr geben wird. In diesem Sinne, so Schmitz, braucht es bis dahin einen „kreativen Ungehorsam“.

Aus Sicht der Kommunalverwaltung, vertreten durch Michaela Röbke, Fachbereichsleitung Planen, Bauen und Wohnen der Stadt Arnsberg und Botschafterin des STADTUMBAUNETZWERK NRW, muss die Weiterentwicklung der Innenstädte priorisiert werden, bevor die Außenbereiche entwickelt werden. Um diese Idee umzusetzen, nutzt die Stadt Arnsberg beispielsweise das 3-zu-1-Prinzip. Damit ist gemeint, dass 3-fach mehr Innenentwicklung als Außenentwicklung angestrebt wird. Dies einzuhalten sei bereits eine große Herausforderung, denn es braucht einen intensiven Aushandlungsprozess zwischen Verwaltung und Politik, in dem gemeinsame Ziele erarbeitet, festgelegt und durchgehalten werden müssen. Eine erfolgreiche Bestandsentwicklung, so legte Michaela Röbke weiterhin dar, ist an ausreichende finanzielle und personelle Ressourcen in den Kommunen gebunden. Da die Kommunen mit den Aufgaben, die solche Maßnahmen mit sich bringen, bereits an ihre Grenzen stoßen, benötigen sie Unterstützung und Kooperation. Diese Herausforderung wird oft noch verstärkt, da den Kommunen immer mehr Aufgaben übertragen werden, ohne dass diese dafür einen finanziellen Ausgleich oder eine personelle Verstärkung erhalten.

Lukas Behrendt, Politischer Referent des Bundesverbandes Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen e.V., stellt die Perspektive aus der Immobilienwirtschaft vor. Einerseits beschreibt er, dass in der Bestandsentwicklung ein großes Potenzial liegt, welches noch gehoben werden muss. Andererseits stellt er fest, dass in der Diskussion die wirtschaftlichen Aspekte oft zu sehr außer Acht gelassen werden und fragt, wer das alles umsetzen und letztlich bezahlen soll? Es muss überlegt werden, was wirtschaftlich, sozial und ökologisch sinnvoll ist und wie dies dann mit den zur Verfügung stehenden Mitteln finanziert werden kann, bzw. ob sich Wege der Subventionierung ergeben. Vor dem Hintergrund der aktuellen bundesweiten Wohnungsnot legt er dar, dass alle Möglichkeiten betrachtet werden sollten, also nicht nur der Umbau des Bestandes, sondern auch Neubauten. Es gilt immer zu bedenken, dass alle Projekte - seien es Neu- oder Umbauten - irgendwie finanziert werden müssen. Daher sollten die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stärker mitgedacht werden und adäquate Instrumente für eine Entwicklung im Bestand aufgebaut werden.

Zusammenfassend stellt Christiane Marks fest, dass beim Thema Bestandsentwicklung vielfältige Bedarfe und Interessen aufeinandertreffen und die Aushandlungsprozesse auch weiterhin eine wesentliche Bedeutung bei konkreten Vorhaben einnehmen werden. Dennoch gilt es sich bewusst zu machen, dass auch in diesem Bereich eine Zeitenwende hin zu ökologischem Bauen unter sozialverträglichen Bedingungen gelingen muss und dass dies nur erfolgreich sein kann, wenn auf verschiedenen Ebenen, von der gesetzgebenden Bundesebene (Standards, BauGB etc.) bis hin zum Mindset der beteiligten Akteure weiter daran gearbeitet wird.


Die Diskussion als Schaubild