Rolle der Kultur für die Innenstadtentwicklung – Kultur als weicher Standortfaktor

am 16. März 2022 als digitales Format per Videokonferenz.

Thematisch knüpfte die Veranstaltung an die letzten Innenstadt-Gespräche zu Nutzungsveränderungen in Innenstädten an. Innerhalb dieser Debatte taucht das Stichwort „Kultur“ als möglicher Lösungsansatz, als Belebungsfaktor und als Marketinginstrument immer wieder auf, weshalb es im Fokus eines eigenen Innenstadt-Gespräches stehen sollte.

Jens Imorde, Geschäftsführer des Netzwerk Innenstadt NRW, hieß die Teilnehmer*innen und den Referenten Ralf Ebert willkommen. Er ist Geschäftsführer des Büros STADTart in Dortmund, das seit Anfang der 2000er zahlreiche Berichte und Analysen zur Kultur- und Kreativwirtschaft für NRW, andere Bundesländer sowie zahlreiche Kommunen und Kreise verfasst hat. Diese Expertise ließ er in seinen Vortrag mit dem Titel „Kultur und (Innen-)Stadtentwicklung heute: Mehr als ein Standort- und Imagefaktor“ einfließen. Zunächst erläuterte er verschiedene Aspekte der Kultur als Standort- und Imagefaktor. Das Image einer Stadt habe als Pull-Faktor für Unternehmen maximal eine regionale Bedeutung, die aber mit größerer Entfernung für die meisten Städte abnehme. Insgesamt werde die Kultur als Standort- und Imagefaktor in der überregionalen Außenwirkung überschätzt, bei der Wirkung in der Region hingegen unterschätzt. Außerdem müsse man hier die Wirkung nach Zielgruppe differenzieren: Bei Kreativen und Hochqualifizierten sowie für Wissensindustrien und naheliegenderweise der Kultur- und Kreativwirtschaft sei sie wichtiger.

Hinsichtlich der Vielfalt des bestehenden Kulturangebots lasse sich dieses heute in drei Sektoren aufteilen. Zum einen in den öffentlich geförderten sowie den zivilgesellschaftlichen Sektor, die beide stationäre wie auch temporäre Angebote im Programm haben, etwa Theater oder Feste. Im privaten Kultursektor steht hingegen das wirtschaftliche Interesse im Vordergrund, und damit auch möglichst hohe Besuchs- oder, im Falle von Ausbildungsangeboten wie Tanz- oder Musikschulen, Nutzer*innenzahlen. Zwischen diesen Sektoren hat sich in den letzten Jahrzehnten eine Verschiebung ergeben. Zum einen ist das Angebot seit den 1970ern deutlich größer geworden. Zum anderen liegt der Fokus auch stärker auf Angeboten der bildenden Kunst, der Musik und der kulturellen Bildung und weniger auf Literatur- und Filmangeboten wie zum Beispiel Bibliotheken und Kinos. Räumlich zeigt sich, dass Kulturangebote und -wirtschaft sich fast überall in zentralen Gebieten konzentrieren. Insgesamt hat zwar die Anzahl an kulturellen Orten abgenommen, dadurch ist das Angebot aber nicht kleiner geworden. So erzeugt die Kultur in den Zentren hohe Frequenzen, wovon sowohl Gastronomie als auch indirekt der Einzelhandel profitieren, da der öffentliche Raum insbesondere abends belebt wird und Besucher*innen sowohl vor wie auch nach dem kulturellen Angebot shoppen oder essen gehen möchten.

Durch die Corona-Pandemien seien aber besonders zivilgesellschaftliche wie privatwirtschaftliche Kulturangebote unter Druck geraten. Hier lasse sich eine starke Tendenz zur „Temporärisierung“ beobachten. Kulturangebote sind also häufiger zeitlich begrenzt. Auch der demographische Wandel und die Digitalisierung verändern die kulturellen Bedürfnisse, insbesondere unter jungen Menschen. Der Klimawandel sowie die Resilienz- und Postwachstumsdiskussion verändern zudem die Anforderungen an kulturelle Orte. Der Kulturbereich steckt somit in einer Finanzierungs-, Werte- und Relevanzkrise.  Die Auswirkungen dessen sind z.B. in Form alternativer, nutzerfreundlicheren Konzepte wahrnehmbar. Der bekannteste Begriff ist hier der der „Dritten Orte“. Kulturorte sind nicht mehr nur Bibliothek oder Theater, sondern vereinen mehrere Nutzungen unter einem Dach. In diese Kategorie fallen oft auch Zwischennutzungen in leerstehenden Flächen. Diese ermöglichen es Städten, an einem Standort auch experimentelle kulturelle Nutzungen auszuprobieren, wodurch eine Stadt auch mediale Aufmerksamkeit generieren kann. Ein Nachteil von Zwischennutzungen sei jedoch, dass dies mit einem hohen organisatorischen Aufwand verbunden sein kann.

Insgesamt wird deutlich, dass kulturelle Angebote für die Innenstadtentwicklung nach wie vor hochrelevant sind, weshalb Herr Ebert betonte, dass die Stadtpolitik und -planung günstige Rahmenbedingungen dafür schaffen, mietgünstige Immobilien finden und die Kultur nicht nur als Leerstandsfüller verstehen sollte. Vielmehr sollten Städte einen konzeptionellen Zugang zur Kultur entwickeln, sie beispielsweise in Integrierten Handlungskonzepten aufführen, und aktiven Kulturschaffenden Perspektiven eröffnen. Gleichzeitig dürfe die Kultur aber auch nicht als reines Instrument der (wirtschaftlichen) Stadtentwicklung betrachtet werden, sondern es sollten gemeinsam mit der Kultur Konzepte gefunden werden.

Mit diesem Statement leitete Jens Imorde als Moderator das Innenstadt-Gespräch in die Diskussions- und Fragerunde über.

Ein Teilnehmer betonte, dass in seiner Kleinstadt Kultur als Teil der Wirtschaftsförderung betrachtet werde und dazu beitrage, die Innenstadt atmosphärisch zu gestalten. Herr Ebert betonte hierzu, dass für die Kulturförderung gerade in Kleinstädten nicht immer das große Geld nötig sei, sondern eher Wertschätzung und eine mediale Aufwertung durch die Stadt hilfreich sei. Viele der anschließenden Fragen an Herrn Ebert hatten einen ganz praktischen Bezug. Auf die Tauglichkeit von „Stadt-Terrassen“ angesprochen, empfahl Herr Ebert, solche Aktionen konzeptionell zu fassen, beispielsweise im Rahmen eines jährlichen Programms. Eine andere Teilnehmerin berichtete von Konflikten mit Anwohner*innen in ihrer Innenstadt, die aufgrund der Lärmbelastung Kulturveranstaltungen schwierig machten. Herr Ebert betonte, es gebe hier kein Patentrezept, die Verwaltung müsse die Kultur aber auf dem Schirm haben und frühzeitig mit allen Beteiligten ins Gespräch kommen. Die Organisation und Moderation müsse aus einer Hand kommen. Auch kam die Frage auf, wie man Kultur für Kinder und Jugendliche attraktiv machen könne. Laut Herrn Ebert müssten neue soziale Ausdrucksformen und Bedürfnisse Jugendlicher in die Planung einbezogen werden, man solle ihnen nicht „alte“ Kulturformen aufdrücken. Auch das Thema „Gaming“ sei in diesem Kontext noch nicht richtig aufgegriffen worden. Eine Teilnehmerin wies darauf hin, dass dabei auch die größere Diversität unter Jugendlichen in den Blick genommen werden müsse. In diesem Zusammenhang kamen auch Dritte Orte zur Sprache. Diese könnten durch einen neuen Ansatz, der verschiedene kulturelle Nutzungen zusammendenkt, auch zur Innenstadtentwicklung beitragen. In Bezug auf kleinere Orte wurde das Problem geäußert, dass ein sowieso schon kleines Kulturangebot auf fehlende oder schlechte Marketingkapazitäten stoße. Hier empfahl Herr Ebert, digitale Kommunikationskanäle (z.B. über Whats App o.Ä.) mit Akteuren in Nachbarorten aufzubauen, da Zeitungen heute keine große Rolle mehr spielen. Darüber hinaus könnten Kulturangebote beispielsweise mit kulturaffinen Gastronomen zusammengebracht werden, um kontinuierliche Kulturangebote in kleinen Orten zu schaffen.

Kritisch diskutiert wurde von den Teilnehmer*innen die Frage, ob Kultur als Instrument oder als Selbstzweck zu betrachten sei. Herr Ebert betonte, dass für den Erfolg von kulturellen Angeboten die Motivlage der Fördernden entscheidend sei. Die Kultur sei auch Teil der Lebensqualität und Gesellschaft einer Stadt. Natürlich sei der Aspekt der Öffentlichkeitswirkung gegeben, er sollte aber nicht allein ausschlaggebend sein. Ein Teilnehmer aus einer Kleinstadt berichtete, er betrachte Kulturtreibende als Experten und sehe die Kommune als ihren Kooperationspartner an. Eine andere Teilnehmerin berichtete von dem Konzept, aus den Ordnungsgeldern einer Stadt einen Kulturfördertopf zu schaffen, der auch bisher weniger sichtbaren Kulturschaffenden zugutekommt und zur Vernetzung beitrage. Herr Ebert betonte abschließend noch einmal, dass man mit Kulturangeboten und den Netzwerken von Kulturtreibenden sehr viel Menschen ansprechen könne. Auch deshalb solle Kulturförderung über die reine „Corona-Rettung“ hinaus als Zukunftskonzept betrachtet werden.

Jens Imorde schloss die Veranstaltung mit einem Hinweis auf die kommende Tagung des Netzwerk Innenstadt NRW am 4. Und 5. April 2022 zum Thema „Resiliente Innenstadt“.