Digitaler Netzwerkaustausch

"Umbau im Bestand - Klimagerechter Bestandsumbau"

 

Wann? 19. Oktober 2022
Wo? online

Am 19. Oktober 2022 veranstaltete das Netzwerk Innenstadt NRW einen digitalen Netzwerkaustausch zum Thema „Umbau im Bestand – Klimagerechter Bestandsumbau“. Denn gerade um unsere Innenstädte und Zentren resilient aufzustellen, braucht es ein neues Verständnis und gute Ideen zum Umgang mit der Ressource des bereits gebauten Bestands. 

Herr Prof. Stefan Rettich, Architekt und Professor für Städtebau an der Universität Kassel, ging in seinem Impulsvortrag vorwiegend auf den Umgang mit leerfallenden Beständen ein: Das „obsolet werden“ der bisherigen Nutzung biete große Chancen, betroffene Objekte anders als bisher zu lesen, nicht nur um den Ansprüchen in Bezug auf den Klimawandel, sondern ebenfalls neu in die Städte drängenden Bedarfen gerecht werden zu können. Gerade die Obsoleszenzen „Klimawandel & Verkehrswende“, „Digitalisierung“ sowie „Wandel der Religiosität“ erlaubten nun originelle Spielräume für die Innenentwicklung, demgegenüber stehe allerdings ein noch schwaches Bewusstsein. Herr Prof. Rettich plädierte deshalb dafür, die Frage der Bestandsentwicklung ernst zu nehmen und an den Leit- und Innenbildern zu arbeiten: Der Umgang mit leerfallenden Beständen dürfe nicht singulär, sondern müsse städtebaulich erfolgen. Gerade die Planungsstrategien gilt es fortan schneller und fluider zu denken, um Sanierungsstau, Brachen und Spekulationen zu unterbinden. Möglichkeiten seien etwa Änderungen im FNP, die Überarbeitung des Sanierungsrechts und Installation eines verantwortlichen Managements sowie die Ausweisung von Transformationsgebieten inkl. kommunalem Ankaufsrecht/Zwischenerwerbsmöglichkeiten. 

Herr Prof. Jan Kampshoff, Gastprofessor an der TU Berlin und Gründer des Ateliers modulorbeat, plädierte in seinem Vortrag dafür, dass zur Erreichung der Klimaschutzziele ein radikales Umdenken in Bezug auf den Umgang mit dem Bestand erforderlich sei: Denn nicht nur sei der Bestand gelebte Kulturgeschichte, sondern vor allem auch verbautes Material und damit gebundene Energie – hier müsse das Verständnis zugunsten einer Gesamtbetrachtung reifen, denn Neubau sei oftmals nur eine vermeintlich ökologischere Alternative. Es sei an der Zeit, das Potenzial der gebauten Struktur („Geschenke aus dem Bestand“) kreativ durch Erhalt, Umdeutung und ggf. konstruktives Weiterbauen sowie Ergänzung zu nutzen. Architekt*innen sollen künftig nicht mehr nur „klassische“ Baumeister*innen sein, sondern das strategische Verstehen, Moderieren und Vermitteln von Raumpotenzialen müsse dringend Teil des Berufs- bzw. Selbstbildes werden. Im Interesse des Bestandes sollten insbesondere Formate des Testens und Ausprobierens gestärkt werden. Auch sein Kollege Herr Marc Günnewig sprach sich bezugnehmend auf das Zentrenmanagement in Steinfurt-Borghorst dafür aus, Verhandlungsräume zu ermöglichen, um Ansprüche offenzulegen und so in (lokale) Diskurse einzusteigen. Der Bestand sei nicht nur über Einzelimmobilien definiert, sondern den Gesamtzusammenhang von Städten – das Verständnis von Räumen und Orten müsse sich deshalb dringend verändern.

Die anschließende Diskussion legte offen, dass auf kommunaler Ebene Transformationsüberlegungen oftmals immer noch an formellen Restriktionen durch das Planungs- und Baurechts scheitern (bspw. Nutzungsänderungen), aber gleichzeitig auch offerierte Möglichkeiten und Spielräume der Gesetze noch nicht umfassend und flexibel genug gedeutet und eingesetzt werden. Herr Prof. Rettich führte noch einmal an, dass eine konsequente Umsetzung der Klimaziele nur im Bestand gelingen könne – dies sollte durch Anpassung des Sanierungsrechts planmäßig verankert werden. Herr Prof. Kampshoff illustrierte zusätzlich, dass zur ehrlichen Schätzung ökologischer Kosten eines (Neu-)Bauprojekts auch die CO2-Bilanz des Abrisses und Abtragens der bereits verbauten Materialien miteinfließen müsse. In Bezug auf den konkreten Innenstadtraum kam ebenso die Frage nach zukunftsfähigen Leitbildern, etwa für die konsumgeprägten Fußgängerzonen auf, die ein Ergebnis der „autogerechten Stadt“ sind. Diese „festbelegten Bilder“ erschwerten Bewertungsmöglichkeiten für neue, innovative Prozesse. Fernerhin wurde über das Thema der kommunalen Personalknappheit debattiert; die Vorgaben zu Befristungen von (geförderten) Personalstellen, auch im Klimaschutz-Bereich, beeinträchtigten nachhaltiges Arbeiten – die (befristete) Vergabe von Aufträgen an externe Büros forciere sogar den Umstand, dass sich die Kommunen kein „eigenes Knowhow“ ansammeln können. Ein Teilnehmer schlug die Änderung von B-Plänen und Gestaltungssatzungen als weitere Möglichkeit zugunsten attraktiver Nutzungen durch Zubauten, Anbauten, Erweiterungen und Nischenarchitekturen vor. Grundsätzlich bedürfe es eines Miteinanders von Politik und Verwaltung sowie Handlungsbefugnisse der agierenden Mitarbeiter*innen durch entsprechend legitimierte politische Hebel.