Einzelhandel in Innenstädten

am 26. Oktober 2021 als digitales Format per Videokonferenz

Am 26. Oktober 2021 veranstaltete das Netzwerk Innenstadt NRW das vierte Innenstadt-Gespräch des Jahres. Aufbauend auf den Inhalten der vorherigen Veranstaltungen („integrierte Handlungskonzepte“ & „Nutzungsveränderungen in Innenstädten“) stand das Thema „Einzelhandel“ im Vordergrund. Besonders durch die zunehmende Diskussion um Nutzungsveränderungen und damit verbundene Instrumente der Innenstadtgestaltung stellte sich die Frage, mithilfe welcher Maßnahmen und komplementären Nutzungen der Einzelhandel in den Innenstädten gestärkt werden kann.

Christiane Marks, Geschäftsführerin des Netzwerk Innenstadt NRW, begrüßte die rund 80 Teilnehmer*innen sowie die drei Referenten. Zum Einstieg in die Veranstaltung diente eine digitale Umfrage zu den aktuellen Herausforderungen im Einzelhandel in den Kommunen. Neben Leerstand und Onlinehandel als dominierenden Stichwörtern sehen sich die Kommunen zu Teilen auch mit städtebaulichen Fragen, Kommunikationsschwierigkeiten mit Eigentümer*innen sowie Personal- und Nachfolgeproblemen konfrontiert.

Dipl.-Ing. Rolf Junker, Geschäftsführer des Stadtforschungs- und Planungsbüros Junker + Kruse aus Dortmund, verfolgte in seinem Impulsvortrag zwei Gedankenstränge. Zunächst stellte er einzelne Entwicklungslinien im Einzelhandel dar. In den vergangenen Jahren seien sowohl die gesamten Verkaufsflächen im Einzelhandel als auch die Zahl und Fläche der Einkaufscenter gestiegen. Gleichzeitig steigt seit 2006 der Umsatzanteil des Onlinehandels bedeutend, während die Zahl der Einzelhandelsbetriebe kontinuierlich rückläufig ist. Ein wichtiger Grund sei dabei das veränderte Konsumentenverhalten in Form hoher Preissensibilität, breiten Hintergrundwissens, Erlebnisorientierung sowie einer zunehmenden Mobilität bei gleichzeitiger Distanzempfindlichkeit. Auch die Affinität für digitale Anwendungen betrifft den lokalen Einzelhandel maßgeblich. Leerstand entstehe nicht von heute auf morgen, sondern gestalte sich in Form einer Abwärtsspirale des „trading down“ in Ladenlokalen und Einkaufsstraßen. 

Wichtige Bausteine zur Begegnung dieser Langzeiteffekte seien Strukturkonzepte für den Einzelhandel, gemeinschaftliches Handeln und gegenseitiges Verständnis von Politik, Verwaltung, Gesellschaft und Eigentümer*innen. Zudem bedürfe es der Unterstützung durch Baurecht und Städtebauförderung. Die aktuelle Problemzone Erdgeschoss als früheres Prunkstück der Immobilien müsse nicht nur Einzelhandel, sondern einen vielfältigen Nutzungsmix (z.B. Dienstleistungen, Wohnungen, Produktion, Kultureinrichtungen) beherbergen. Als mögliche Instrumente zur Stärkung der Innenstädte als Einzelhandelsstandorte nannte Junker die Bildung von Konzentrationsbereichen (Zentrale Versorgungsbereiche), die Anpassung von Bebauungsplänen, ein Umdenken in der Gestaltung von Straßenräumen sowie die Entwicklung von Zukunftsbildern für lebenswerte Innenstädte.

Christoph Dellmans, Bürgermeister der Stadt Kempen, stellte anschließend die Vorgehensweise der Stadt Kempen vor. Der Entwicklungsprozess begann hier bereits in den 1970er-Jahren mit der Auslagerung des Autoverkehrs, um den Wert der Fußgängerzone zu betonen. Als Erfolgsfaktor beschreibt Dellmans den lokalen Werbering mit circa 180 Mitgliedern (Einzelhandel, Politik und Verwaltung), über den alle Gespräche und Entwicklungen laufen und der sogar über eine eigene Plattform verfügt. Wichtige Maßnahmen seien beispielsweise die Entwicklung der Kempener Liste, die in vielen Fällen eine Ansiedlung von Einzelhandel auf der grünen Wiese ausschließt und die Betriebe in den städtischen Zentren konzentriert. Auch die tägliche Reinigung der Innenstadt habe sich mittlerweile als wichtiges Instrument für eine gute Aufenthaltsqualität herausgestellt. Insgesamt, so Dellmans, müssten Kommunen den Mut haben, etwas zu wagen. In Kempen äußert sich dieser Mut in innovativen Veranstaltungen, die auf der einen Seite die Konkurrenz der Händler*innen kreativ aufgreifen, gleichzeitig aber auch die Kommunikation und Zusammenarbeit unter den Akteur*innen fördern. Die neuen Formate hätten sich mittlerweile als gesellschaftliche Events etabliert.

Aus Niedersachsen berichtete Eckhard Homeister, Quartiers- und Standortmanagement der Wirtschaftsförderung Hildesheim, über die innovative Vorgehensweise vor Ort. Hier wurden leerstehende Ladenlokale mit verwahrlosten, verschmutzten und plakatierten Schaufenstern durch die Wirtschaftsförderung dokumentiert und fotografiert. Mithilfe dieser Fotografien konnte Kontakt zu den Immobilienentwicklern und -fonds aufgenommen werden, um diese zu aktivieren bzw. für die Situation zu sensibilisieren. Durch das Angebot der Reinigung der Fenster sowie der Entfernung der Plakatierung seitens der Stadt konnten in der Folge Übereinkünfte mit den als schwierig eingeschätzten Eigentümer*innen getroffen werden, um die leerstehenden Räume im Erdgeschossbereich mietfrei mit temporären Nutzungen zu füllen: Kostenlose Dienstleistung gegen kostenlose Raumnutzung. Im Rahmen dieser Aktion „Wir kümmern uns“ konnten bereits mehr als die Hälfte der Leerstände – zum Teil dauerhaft – vermittelt werden. Die Strahlkraft sorgt seit Sommer 2021 für eine hohe Nachfrage an Ladenlokalen sowie ein neues, positives Image der Hildesheimer Innenstadt. Zwischen den Beteiligten sei eine stärkere Vernetzung und Kommunikation entstanden. Homeister fasste abschließend die Rolle der Kommunalpolitik als Zielsetzer, Regulator und Unterstützer zusammen. Es müssten rationale Ziele gesetzt werden, die durch aktive Mitarbeit der Akteur*innen unterstützt und umgesetzt werden können.

Die anschließende Diskussion führt das Thema der Vernetzung und Kooperation fort. Der Transformationsprozess der Innenstädte bzw. des Einzelhandels funktioniere nur mit der Beteiligung aller Akteure, insbesondere auch der Eigentümer*innen. Hier zeichnen sich nach Ansicht der Teilnehmer*innen des Innenstadt-Gesprächs bereits deutliche Veränderungen und Verbesserungen ab. Zum einen steige die Gesprächs- und Kooperationsbereitschaft der Eigentümer*innen, zum anderen sinken die aufgerufenen Kaltmieten, die bisher viele potenzielle Interessenten abgeschreckt haben.

Es klang zudem an, dass es auf kommunaler Ebene wichtig sei, einzelne Entscheidungen für den Einzelhandel im Rahmen der Bauleitplanung zu verankern, um einen Handlungsrahmen zu schaffen. Wichtig sei zudem, dass Konzepte und ihre Inhalte weiterverfolgt und umgesetzt würden, ohne durch wechselnde politische Interessen unterwandert zu werden. Insgesamt gilt es, in der Innenstadt eine Nutzungsmischung zu erwirken, in welcher der Einzelhandel weiterhin eine wichtige, wenn auch nicht mehr die einzig wichtige Rolle spielt. 

Städte und Gemeinden stehen vor einem langen Prozess, den es mit Mut, innovativen Lösungen und Kooperation wie in Kempen und Hildesheim zu gestalten gilt.