„Geht nicht, gibt's nicht - Stadtentwicklung vom Bestand aus denken!“

Am 29. März 2023 als digitales Format per Videokonferenz.

Das Innenstadt-Gespräch fand im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Bestandsentwicklung“ digital am 29. März 2023 unter dem Titel „Geht nicht, gibt's nicht - Stadtentwicklung vom Bestand aus denken!“ statt. Die Moderation übernahm Christiane Marks als Geschäftsführerin des Netzwerks Innenstadt NRW. Nach Begrüßung der rund 46 Teilnehmenden gab Florian Sandscheiper, Projektmitarbeiter des Netzwerk Innenstadt NRW, einen kurzen Rückblick auf die Ergebnisse der ersten Veranstaltung. Anschließend folgten zwei Impulse. Die Veranstaltung hatte das Ziel, vor allem Politiker*innen an das Thema Bestandsentwicklung heranzuführen, zu informieren sowie die Frage der politischen Verantwortung und Einflussnahme durch die Beauftragung und den Beschluss von Leitbildern zu stellen.

Im ersten Impulsvortrag hob Prof. Dipl-Ing. Tim Rieniets, Professor für Stadt- und Raumentwicklung in einer diversifizierten Gesellschaft, Leibniz Universität Hannover, die Bedeutung des Bestands aus der historischen Perspektive aus vorindustrieller Zeit für Städte hervor. Hierbei ging es um Bestandsentwicklung als Normalfall – Materialien wurden vornehmlich aus ökonomischen Gründen wiederverwendet. Mit Blick auf die heutige Situation erläuterte Rieniets, dass uns die „Alltagspraxis des Umbauens“ verloren gegangen sei: „Wir leben mit der Vorstellung die Zukunft neu zu bauen und zu gestalten“. Auch die architektonische Moderne besage, dass wir das Alte hinter uns lassen müssen, was sich auch im BauGB widerspiegele, da es vor allem Standards für Neubau setzt. Des Weiteren betonte Rieniets, dass sich der Raumwärmebedarf reduziert habe, wir bautechnisch gut ausgestattet sind, dies jedoch mit dem individuellen Wohnraumflächenbedarf korreliere. Folglich reiche es nicht aus, den Fokus auf den technischen Fortschritt zu setzen, das Thema Bauen und Wohnen sei viel komplexer. Anschließend ging Tim Rieniets ausführlicher auf das Thema graue Energien ein und erläuterte, dass allein in der Bauphase am meisten Energieverbrauch stattfinde. Hier entstehe ca. 50 % der grauen Energie eines Neubaus. Wenn wir bis 2040 Klimaneutral sein wollen, dann müsse 80 % des Bestands saniert und nur 20 % neu gebaut werden. Um Bestandsentwicklung voranzutreiben, schlägt Rieniets schließlich 3 Maßnahmen vor: 1. eine Novellierung der Musterbauordnung, 2. die Anpassung des Gebäudeenergiegesetzes um graue Energie sowie die Berücksichtigung von Emissionen und 3. die Einführung des Rechtsbegriffes „besonders erhaltenswerte Bausubstanz“. Abschließend plädiert er dafür, dass Bund, Länder und Kommunen eine Vorbildfunktion übernehmen sollten, um den Erhalt und Weiternutzung von Bestandsgebäuden zu stärken und andere zu motivieren.

Im Mittelpunkt des Beitrags von Rachid Jaghou, Leiter des Zentralen Gebäudemanagements der Stadt Krefeld standen zunächst die Maßnahmen des zentralen Gebäudemanagements in der Stadt Krefeld. Nach einem intensiven Austausch mit der Partnerstadt Venlo entwickelte die Stadt Krefeld in Zusammenarbeit mit dem Ökozentrum NRW die „Planungsanweisungen für Städtische Liegenschaften“ mit der Anlage „Nachhaltiges Bauen“, was u. a. eine Zielvereinbarungstabelle und Checkliste als Instrument der Umsetzung und Kontrolle unterschiedlicher Themenbereiche der Nachhaltigkeit (Materialien, Lebenszykluskosten etc.) beinhaltet. Die Planungsanweisungen wurden von Anfang an von der Politik unterstützt, was die Einführung beschleunige. Schon jetzt befinde sich die Stadt Krefeld in der ersten Umsetzung von Projekten. Ziel sei es, die ökologischen, ökonomischen und soziokulturellen Aspekte von jedem Bauprojekt (Umbau/Sanierung oder Neubau) zu betrachten. Weitere Aspekte des Vortrags waren das Thema „gesundes Bauen“, um die Gesundheit der Nutzenden durch ein gutes Raumklima zu erhöhen, das Energiespar-Contracting (ESC), bei den Vorgaben zum energieeffizienten Bauen auferlegt werden und die Gewinne des Contractors mit den erreichten Effizienzen gekoppelt sind. Letztlich wurde deutlich, dass trotz der vielfältigen Bemühungen der Stadt Krefeld ihre Gebäude im Bestand zu entwickeln, der akute Bedarf so hoch ist, dass weiterhin auch neu gebaut werden müsse.

In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass das Thema der Weiternutzung und Entwicklung von Bestand immer noch unterschiedliche Meinungen mit sich bringt – oft im Zusammenhang mit dem Thema der Wirtschaftlichkeit. Hier werden häufig die betriebswirtschaftlichen Aspekte betrachtet, weniger die Folgekosten, die mit Blick auf den Klimawandel im Nachgang entstehen. Eine volkswirtschaftliche Betrachtung und damit eine ganzheitliche Kostenbilanzierung findet in der Regel nicht statt. Insgesamt wurde deutlich, dass viele der Teilnehmenden für eine stärkere Positionierung des Bestands plädieren, jedoch auf Neubau nicht verzichtet können. Weiter wurde die Problematik des geringen Personals und des fehlenden Know-Hows über den Lebenszyklus von Gebäuden in Verwaltungen bemängelt. Auch fehle es an Kreativität beim Bauen, vor allem bei Umbau- und Sanierungsmaßnahmen.