Rückblick Auftaktveranstaltung

„Die Zeiten monofunktionaler Innenstädte sind vorbei“


Wann: 27.09.2023
Wo: als Online Videokonferenz (Zoom)

Die Reihe „Nutzungen“ startete am 27. September 2023 mit einer digitalen Auftaktveranstaltung unter dem Titel „Die Zeiten monofunktionaler Innenstädte sind vorbei“. Mit dieser Themenreihe soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass unsere Innenstädte zunehmend unter Druck geraten und vor tiefgreifenden Veränderungen stehen. E-Commerce, neue und flexiblere Arbeitsmodelle und die vielfältigen globalen Krisenentwicklungen sind nur einige Entwicklungen, die sich räumlich in den Zentren unserer Städte niederschlagen. Vor diesem Hintergrund wird in der Fachwelt seit Jahren diskutiert, welche Funktionen und Nutzungen die monofunktionalen Handelsstrukturen in den Innenstädten gezielt ergänzen können, um diese zu revitalisieren und das Gesicht der Innenstädte zu individualisieren. Zur Einführung in das Thema konnten insgesamt drei Referenten gewonnen werden.

Zunächst stellten Rolf Junker und Sven Nowoczien von Junker + Kruse Stadtforschung Planung die These auf, dass die monofunktionale Innenstadt am Ende sei. Für Rolf Junker sind Zwischenlösungen und Pop-Ups keine Lösungen, vielmehr müsse es darum gehen, neue Zukunftsbilder und Geschichten zu entwickeln, die von einer Innenstadt mit deutlich weniger Handel erzählen. Die Debatte werde seit Jahren mit den gleichen Argumenten geführt, ein verändertes Planungsverhalten als Reaktion auf Trading-Down-Prozesse und Mietpreisverfall sei aber noch nicht erkennbar. In monofunktionalen Zentren, die vor allem dem Konsum und dem Einzelhandel dienen, sieht Junker lediglich eine stadtgeschichtliche Zwischenepisode. Quantitativ stützte Rolf Junker seine Aussagen vor allem auf zwei Beobachtungen: Erstens sei eine Wachstumsgrenze der Verkaufsflächen in den Städten erreicht. So war bis 2018 ein starker Anstieg der Verkaufsflächen in Deutschland zu verzeichnen, der erst im Zuge von Covid-19 zu stagnieren begann. Zweitens sei die Zahl der Einkaufszentren insbesondere zwischen 1990 und 2010 stark angestiegen, was viele Kommunen heute vor verschiedene Herausforderungen stelle.

Sven Nowoczien knüpfte an diese Ausführungen an und machte deutlich, dass der Rückgang des Einzelhandels nicht umkehrbar sei. Einzelne Städte würden aber weiterhin auf Top-Niveau bleiben, wofür er vier Faktoren als ausschlaggebend identifizierte: Entscheidend seien die städtebauliche Qualität, ein großes Einzugsgebiet, eine überdurchschnittliche Kaufkraft und eine touristische Anziehungskraft. Für viele Städte sei daher ein Umdenken unumgänglich, zumal diese Faktoren von der Stadtverwaltung nur bedingt beeinflussbar seien. Dabei gehe es vor allem darum, im Sinne einer vorausschauenden Planung einen langen Zeitraum in den Blick zu nehmen, eine attraktive Nutzungsmischung zu schaffen und Leerstände durch gezielte Nachnutzungen zu bespielen. Es folgten vielfältige Best-Practice-Beispiele ganz unterschiedlicher Nutzungsarten. Es wurden Projekte aus den Bereichen Einzelhandel, Dienstleistungen, Gastronomie, Wohnen, urbane Produktion, soziale Infrastruktur, Kaufhäuser, öffentlicher Raum und Quartiersidentität vorgestellt. Nowoczien schloss seinen Vortrag mit dem Ausblick, dass es darum gehe, neue Bilder zu generieren, sich aber gleichzeitig bewusst zu sein, dass beispielsweise eine Kindertagesstätte nicht die gleiche Miete wie ein H&M bringe. So müssten Städte versuchen herauszufinden, welche Bereiche der Innenstadt für den Einzelhandel langfristig attraktiv seien und zudem einen langen Atem für Veränderungsprozesse haben, da diese immer viel Zeit in Anspruch nehmen würden.

Es folgte eine kurze Diskussion mit Einzelbeiträgen. So berichtete Kajetan Lis aus Mönchengladbach von seinen Erfahrungen mit dem Thema Identitätsbildung und betonte deren Bedeutung für die Innenstadtentwicklung. Für ihn gehe es darum, die eigenen Bürgerinnen und Bürger dazu zu bringen, sich mit der eigenen Innenstadt zu identifizieren und sich als Werber:innen für die eigene Stadt zu engagieren. Anke Husmann aus Oer-Erkenschwick wies darauf hin, dass eine Belebung des Stadtzentrums ohne die Zusammenarbeit mit den Eigentümern nicht denkbar sei. Hier machte sie vor allem den Anreiz des Verlustvortrages als systemisches Problem aus, der es für Immobilieneigentümer:innen attraktiver mache, die eigene Immobilie leer stehen zu lassen, als sie zu niedrigeren Mieten auf den Markt zu bringen.

Dieser Einwand bot die passende Überleitung für Daniel Förste als Referent für Stadtentwicklung beim Zentralen Immobilien Ausschuss e.V. (ZIA). Für ihn ist klar, dass Einzelhandelsimmobilien auch in Zukunft das Rückgrat der Innenstädte sein werden, für deren Erhalt der ZIA immer wieder die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Kommunen suche. Die Bedeutung von Mischnutzung und Multifunktionalität in der Innenstadt wird ebenso betont wie die Probleme der Assetklasse Büroimmobilie, die noch vor wenigen Jahren als sichere Anlageklasse galt, nun aber zunehmend von Leerstand betroffen ist. Gegen Ende des Vortrags betonte Daniel Förste auch den Reformbedarf, so müsse u.a. die TA-Lärm flexibler gestaltet werden, um die Nutzungsmischung auf kleinem Raum zu stärken. Zudem zeigten Studien, dass Umbauten durch rechtliche Vorgaben frühzeitig an ihre Grenzen stoßen, da bereits viele Dinge im Planungsstadium klar sein müssten. Er plädierte stattdessen für mehr Experimentierräume und eine grundlegende Genehmigungsbeschleunigung.

Die Abschlussdiskussion begann mit einer Wortmeldung von Jens Imorde, der die Temporalität von Umnutzungen in den Mittelpunkt stellte. In Herne war lange unklar, wie es für die Kommune mit einem leerstehenden Kaufhaus weitergehen würde - von der Schließung bis zur Wiedereröffnung dauerte es 13 Jahre. Außerdem hatten viele Immobilienanbieter in der Vergangenheit mehr über Exceltabellen als über die Quartiere gesprochen. Problematisch sei auch die häufige Überbewertung von Immobilien, die eine Übernahme durch die Kommunen deutlich erschwere. Im Anschluss wurde noch über Eigentumsverhältnisse von Immobilien gesprochen. Daniel Förste beobachtete für den ZIA einen Rückgang von institutionellen Anlegern und Investoren, betonte aber auch, dass ausländische Holdings häufig über ein Immobilien- oder Assetmanagement in Deutschland verfügten. Daher empfahl er den Kommunen, auch diese Stakeholder einzubeziehen, um in Kontakt bezüglich der Immobilie zu kommen. Jens Imorde betonte zudem, dass die Stadtverwaltung die Eigentümer:innen als gleichberechtigte Partner:innen in einem gemeinsamen Prozess betrachten sollte. Zum Abschluss der Veranstaltung fasste Simon Kniffki zusammen: Besonders kleine und mittelständische Kommunen stehen in den kommenden Jahren vor massiven Herausforderungen. Daher sollten sie nicht zögern, die ihnen zur Verfügung stehenden rechtlichen Instrumente einzusetzen. Anke Hußmann hatte zuvor auf eine Aussage der Ministerin Scharrenbach verwiesen, dass Kommunen auch vor Verpflichtungen nicht zurückschrecken sollten. Jedoch muss allen in der Stadtverwaltung klar sein, dass Umnutzungsprozesse viel Zeit beanspruchen.