Nutzungsveränderungen in Innenstädten

Welche Funktionsmodelle und Identitäten können unsere Innenstädte (neu) beleben?

am 13. April 2021 als digitales Format per Videokonferenz

Am 13. April 2021 veranstaltete das Netzwerk Innenstadt NRW ein Innenstadt-Gespräch zum Thema „Nutzungsveränderungen in Innenstädten“. Die Pandemie hat die bereits in den vergangenen Jahren im Innenstadtbereich wirkenden Prozesse und Problemlagen weiter intensiviert, gar beschleunigt. Neben den (Teil-)Schließungen der Geschäfte kommt es aktuell vielerorts zudem zu Flächenaufgaben namhafter Filialisten. Ziel der Veranstaltung war es, gemeinsam mit involvierten Akteuren, vornehmlich aus den Bereichen Politik und Verwaltung, darüber in Diskussion zu treten, welche Funktionsmodelle und Identitäten die Innenstädte künftig (neu) beleben und prägen.

Jens Imorde, Geschäftsführer des Netzwerk Innenstadt NRW, begrüßte die rund 130 Teilnehmer*innen und hieß ebenfalls die Referent*innen willkommen. Er verwies zum Einstieg auf die Notwendigkeit einer Debatte über neue Nutzungsideen für die Innenstadt und örtlich freiwerdende Geschäftsflächen.

Jürgen Block, Geschäftsführer der Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing Deutschland e.V., bewertete in seinem Impulsvortrag die Umwälzungen im Einzelhandelssektor als „Strukturwandel“ der dominierenden Innenstadtfunktion. Demgegenüber benötige es künftig multifunktionale Innenstädte, indem Wissens-, Freizeit- und Kultureinrichtungen integriert und die Kommerzialisierung innerstädtischer Bereiche aufgeweicht werde. Für die Gestaltung des Transformationsprozesses hin zu einer neuen Nutzungsmischung gebe es kein Patentrezept. Jede Kommune müsse, basierend auf den jeweils vorhandenen Stärken, eine individuelle Ausrichtung finden. Große Potenziale liegen in der Untermauerung der emotionalen sowie atmosphärischen Anbindung der Menschen an die Innenstadt, Stichwort „Erlebnisse“. Herr Block sprach ferner den Immobilieneigentümer*innen eine entscheidende Schlüsselfunktion für die Realisierung von Nutzungsveränderungen in der Innenstadt zu. Gerade derzeitige Mietpreis-Vorstellungen seien ein großes Hemmnis für neuartige Konzepte, etwa für Kulturschaffende. Das Stadtmarketing als strategischer Partner der Innenstadtentwicklung müsse künftig speziell mit dieser Personengruppe noch stärker in Interaktion treten. Insgesamt ginge es, so Herr Block zum Abschluss, weniger darum, „die Innenstadt zu retten“, sondern ohnehin stattfindende Veränderungsprozesse anzunehmen. Durch die Einrichtung einer „verantwortlichen Stadtgesellschaft“ werden dann „soziale Verwerfungen“ in Bezug auf den Zugang zur Innenstadt als Ort des (täglichen) Zusammenkommens aufgelöst. Inhabergeführte Geschäfte stärken weiterführend die regionale Wirtschaft.

Julia Erdmann, Architektin und Inhaberin von JES Socialtecture, plädierte in ihrem Vortrag aus Perspektive der Planung dafür, Stadtleben und die architektonische Gestaltung von Stadträumen künftig verstärkt zusammenzudenken („Socialtecture“). Sie präsentierte „Co-kreative Stadtgestaltung“ als eine Methode für die Einleitung einer Transformation. Die Kernidee des Formats bestehe in der Annahme, dass die (Innen-)Stadt im Sinne einer „funktionsgemischten und lebenswerten Stadt“ gesellschaftliches Gemeinschaftsleben vertiefen könne, wenn sie gemeinsam entworfen werde. Das Team rund um Frau Erdmann erprobte das Instrument unter anderem für die Bremer Innenstadt im Jahr 2018. Im Rahmen eines intensiven Dialogprozesses wurde gemeinsam mit einem Expertenteam sowie zentralen Innenstadtakteur*innen eine Zukunftsvision für die Bremer Innenstadt entwickelt, welche im Ergebnis spezifische, lokale Stadtqualitäten identifizierte (Bsp.: „Genussvolles Bremen“). Diese wirken gleichfalls als Bezugsrahmen für Nutzungsveränderungen. Frau Erdmann sprach sich abschließend für eine Rückbesinnung auf traditionelle Funktionen und lokale Individualitäten aus, denn das Entwerfen unterschiedlicher Entwicklungslinien erzeuge den tatsächlichen Mehrwert für die Zukunft der Innenstädte.

Carolin Lahode und Sascha Bauer vom Stuttgarter Verein Stadtluecken e.V. stellten aus Nutzer*innenperspektive ein Beispiel für eine Nutzungsveränderung vor. Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, für Lücken im öffentlichen Raum zu sensibilisieren und diese Flächen mittels einer aktivierten Zivilgesellschaft mit neuen Nutzungen zu belegen. Das Vorhaben wurde auf einem ehemaligen Parkplatz am Stuttgarter Österreichischen Platz verwirklicht: Innerhalb eines zweijährigen Zeitraums wurden vor Ort, gefördert durch städtische Mittel, verschiedene Veranstaltungsformate zur Realisation eines sozialen Begegnungsortes ohne Konsumzwang erprobt. Darüber hinaus konnte ein gebietsbezogener Runder Tisch mit lokalen Vertreter*innen aus Politik und Verwaltung implementiert werden. Mit dem Ziel einer Verstetigung des „Kooperativen Stadtraums Österreichischer Platz“ wurde nach der zweijährigen Experimentierphase ein Haushaltsantrag zur Weiterführung des Projekts bewilligt. Dennoch ist das Vorhaben inzwischen, nicht nur bedingt durch die Pandemie, ins Stocken geraten: Rechtliche Fragestellungen rund um das städtische Zuwendungsrecht, die künftige Projektträgerschaft und Haftung haben den gemeinnützig organisierten Verein an seine Belastungsgrenzen geführt. Hinzu kommen sich in der Zwischenzeit geänderte Planungsbedingungen durch den Neubau der Interimsfeuerwache auf einer Teilfläche des Projektstandortes. Nichtsdestotrotz beurteilen Frau Lahode und Herr Bauer das Zusammenbringen der relevanten städtischen Akteure, initiiert durch die ehrenamtliche Vereinsarbeit, als einen großen Erfolg des Projekts. Dennoch wäre eine noch engere Zusammenarbeit zwischen Stadtverwaltung und Stadtakteur*innen wünschenswert gewesen.

In der anschließenden Diskussion betonte Herr Bauer, dass es zur wirksamen Unterstützung des Engagements des ehrenamtlich tätigen Vereins eine*n professionalisierte*n Ansprechpartner*in auf Verwaltungsebene benötigt hätte, v.a. in Bezug auf finanzielle Sachfragen. Auf die Nachfrage eines Teilnehmers, wie Immobilieneigentümer*innen motiviert werden könnten, zu vergünstigten Konditionen etwa an lokal ansässige Interessent*innen zu vermieten, gab Frau Erdmann an, dass es Anzeichen für einen Umbruch gebe: Auch Vermieter*innen zeigen wieder vermehrt Interesse an inhabergeführten Geschäften. Es wurde ebenso darüber diskutiert, ob das Absenken der Gewerbesteuerhebesätze ein Anreiz für selbstständig Gewerbetreibende in der Innenstadt sein kann. Einige Teilnehmer*innen illustrierten, dass vorherrschende Strukturen und Bürokratien bislang neue Initiativen und Ideen für die Innenstadt behindern. Es benötige eben (politischen) Mut, mit Projektideen zu experimentieren und ggf. auch mal zu scheitern.

Herr Imorde schloss die Veranstaltung mit dem Hinweis auf die diesjährige Tagung des Netzwerk Innenstadt NRW am 14./15. Juni 2021, welche das Thema „Zukunft der Innenstadt“ vertiefen wird.


Sollten Sie Interesse an den Präsentationsfolien der drei Impulsvorträge haben, so schreiben Sie uns gerne eine E-Mail unter info@innnenstadt-nrw.de. Wir lassen Ihnen diese dann zukommen.